Retro in der Mode
Modetrends aus den 60er, 70er und 80er sind wieder modern
Retro in der Mode ist derzeit schwer angesagt: Es bedeutet den Fashion-Rückgriff auf vergangene Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte. Die soeben geehrte Vivian Westwood etwa, die im April 2021 ihren 80. Geburtstag feierte, verwendete auch Perücken des Spätbarock. Selbst in ihren Kleidern tauchten entsprechende Reminiszenzen (unter anderem Korsagen) auf. Sie ist nicht die einzige, aber vielleicht berühmteste Designerin, die den Retro-Style über einen so weiten zeitlichen Bogen spannte. Die meiste Retro-Mode der 2020er-Jahre bezieht sich auf Outfits der 1970er- bis späten 1980er-Jahre, sie greift also immer rund ein halbes Jahrhundert zurück.
Was unterscheidet Retro eigentlich von Vintage?
Eine kurze Erklärung lautet: Retro ist ein bewusster Rückgriff moderner Designer, die in völlig neuer Fashion die alte Mode wieder aufleben lassen. Es handelt sich um neue, also auch neu produzierte Kleidung. Das hat den modischen Vorteil, dass die Designer frühere Linien anklingen lassen können, aber nicht vollständig übernehmen müssen. Eine moderne Retro-Schlaghose, die es schon wieder gibt, erinnert also irgendwie an die Vorbilder der 1970er-Jahre, sie gleicht ihnen aber nicht völlig und löst damit Überraschung und genaues Hinsehen aus. Selbst eine Barockperücke, wie sie Vivian Westwood einsetzt, ist nicht totaler Barock, sondern weist einige pfiffige Details auf, die aus der Moderne stammen. Das macht Retro wahnsinnig faszinierend. Vintage-Modestücke hingegen sind Originale. Sie stammen wirklich aus jener Zeit und können nun wieder getragen werden, wenn sich das Material gehalten hat. So könnte etwa die Tochter, Jahrgang 1990, neuerdings Retro für sich entdecken und dabei auf die sehr weit geschnittene Hose stoßen. Sie besucht damit die Mama, Jahrgang 1960, die sich umgehend davon inspirieren lässt und aus dem Schrank eine Jeans der 1970er-Jahre holt, die den damaligen Schlaghosen-Stil repräsentiert und mithin ein altehrwürdiges Original (Vintage) ist.
Seltene Fälle
Allerdings sind solche Fälle in der Mode eher selten, denn wer hat schon eine fast 50 Jahre alte Hose im Schrank. Seltene Ausnahmen gibt es zwar wie etwa das originale Valentino-Kleid aus den 1980er-Jahren, das Julia Roberts bei der Oscarverleihung 2001 trug. Das ist allerdings wirklich eine (wenngleich prominente) Ausnahme. Doch bei textilen Asseccoires ist Vintage durchaus noch anzutreffen, wenn wir etwa Omas gehäkelte Deckchen betrachten, die heute noch da und dort aufgelegt werden. Bei Möbeln ist Vintage bzw. Antikes ohnehin en vogue. Vintage heißt übrigens „erlesen“ oder „altehrwürdig“. Wenn wir nun die Begrifflichkeiten vollkommen korrekt verwenden würden, müssten wir alle alten Originale als „Vintage“ und alle Neuschöpfungen mit Anklängen an frühere Zeiten als „Retro“ klassifizieren. Der aufmerksame Beobachter weiß allerdings, dass dies nicht durchweg so gehandhabt wird. Sowohl in der Mode als auch bei Einrichtungsstilen oder Autodesigns werden die Begriffe manchmal nicht ganz so eindeutig verwendet, wie wir es gerade definieren konnten. Doch das macht eigentlich nichts. Wichtig ist, dass uns Retro-Mode gefällt und sogar zum Vintage-Style einer Einrichtung passen kann, die wirklich schon original viele Jahrzehnte alt ist.
Was bietet uns die Retro-Mode 2021?
Sie zitiert aktuell wie erwähnt vorwiegend die 1970er- bis 1980er-, manchmal aber auch die 1960er- und 1990er-Jahre. Wir machen zehn Retro-Trends aus, die wir auf den Messen 2020 und 2021 beobachten konnten:
#1 Mom-Jeans
Diese Jeans fallen durch ihre hohe Taille sowie die lockere Passform + schmalem Knöchelausschnitt auf. In den 1990er-Jahren waren sie unglaublich beliebt, nun erleben sie ihr Comeback und werden dabei – typisch Retro (siehe oben) – in kleinen Details neu gestylt. Auf den Laufstegen und Straßen lösen sie schon seit 2020 die Skinny-Jeans ab: Sie gelten als der neue Trendsetter für Fashionistas. Kombinieren lassen sie sich sehr gut mit Gürtel und Stiefeln.
#2 Cord
In den 1970er-Jahren aufgekommen, in den 1980er-Jahren verpönt und sogar verspottet, tritt er nun wieder in Erscheinung und findet unter der vorurteilsfreien Generation X, Y, Z viele AnhängerInnen: der Cord. Bei seinem ersten Auftritt vor 50 Jahren war er übrigens zunächst ein Hauptmaterial der Kinderkleidung, doch heute sehen wir Hosen, Jacken, Hemden, Röcke und sogar Handtaschen aus Cord.
#3 Chunky Sneakers
Die klobigen Turnschuhe waren einst ein Trend, bei dem niemand gedacht hätte, dass er sich überhaupt länger hält. Doch sie dominierten durchaus die 1980er-Jahre. Nun dachte wiederum kaum jemand, dass sie wieder zur Mode im Retro-Style gehören könnten. Doch wie schon vor 40 Jahren finden sie überraschend viele Anhänger und legen damit ein großes Comeback hin. Viele Designermarken wie Balenciaga und Gucci rocken aktuell den klobigen Sneaker.
#4 Haargummi
Auch der Haarschmuck aus Gummi hat etliche Jahre auf dem Buckel, er stammt schon aus den späten 1950er-Jahren. Nun schafft er seine Rückkehr zum Modespiel der 2020er-Jahre. Viele Prominente zeigen ihn aktuell, was auch einen rein praktischen Grund hat: Haargummis erlauben einfach eine wunderbar flexible und nachhaltige Gestaltung der Frisur. Wer sie nicht kaufen möchte, kann sie sogar aus alten Stoffresten herstellen.
#5 Seidenschals
Liebhaber alter Filme kennen die atemberaubenden Seidenschals, die beispielsweise die US-Schauspielerin Grace Kelly (ab 1956 Princesse Grace de Monaco) in ihren Filmen trug. In den 1950er-Jahren war der Seidenschal bei Frauen und Männern ein Must-have, nun ist er wieder angesagt. Als typisches Retro-Piece ist der moderne Seidenschal etwas anders designt und wird auch anders getragen als vor 60 bis 70 Jahren. Wir binden in kreativ, darüber hinaus kann er heute auch ein Top, Haarschmuck und sogar die Ergänzung zum Rock sein.
#6 Bikeshorts
Diese stammen aus den 1980er-Jahren, hatten ihr erstes Revival schon in den 1990ern und kommen nun erneut auf die Bühne. Gepusht werden sie unter anderem von Bella Hadid und Kim Kardashian, die sie zu T-Shirts, Pullovern in Übergröße und klobigen Turnschuhen kombinieren.
#7 Schlaghose
Wie eingangs erwähnt kommt die Schlaghose aus den 1970er-Jahren wieder, wird aber als Retro-Mode etwas anders gestylt. Die auffällige Silhouette der weiten Hosenbeine begann nämlich vor 50 Jahren ab dem Knie. Die moderne Schlaghose aber ab der engen Hüfte, die schon sehr weit geschnitten sein kann. Ein wesentlicher Unterschied zu dazumal, der aber in den nächsten Jahren verschwinden könnte, ist heute die weibliche Präferenz für diese bemerkenswerte Hose. An Männern sieht man sie bislang noch nicht. Damals wurde sie von Jungs und Mädels gleichermaßen gern getragen.
#8 Ripped Denim
Eigentlich sind die zerrissenen Jeans ein Dauerbrenner, zumindest kommen sie alle fünf bis zehn Jahre wieder. Zunächst tauchten sie in den 1980er-Jahren quasi als Street Art auf und waren eine augenzwinkernde Referenz an die Lässigkeit der Punks, dann setzten sie sich auf den Laufstegen durch und dominierten sogar ein Jahrzehnt lang das Geschehen. Kurz war man in den 1990ern ihrer überdrüssig, doch seit 2000 kommen sie in schöner Regelmäßigkeit wieder, allerdings – aufgepasst und wiederum typisch Retro – mit immerzu leichten Veränderungen der zerrissenen Stellen. Dennoch können auch ältere Modelle ruhig im Schrank bleiben, denn so genau schaut niemand hin. Vielleicht wird ja eine Ripped Denim aus 2000 demnächst zum Vintage.
#9 Gürteltasche
Dieses Hands-free-Accessoire war ab den 1980er-Jahren unglaublich beliebt, weil es ein wirklich praktisches Stück ist. Dennoch kam es etwa ab 2000 aus der Mode und galt nun für 20 Jahre als ebenso überholt wie die Herrenhandtasche (die ebenso praktisch ist). Nun dürfen die Gürteltaschen wieder getragen werden und werden sogar von Gucci designt.
#10 Puffärmel
Hier haben wir die aktuell einzige Retro-Reminiszenz, die sogar einen Bogen über Jahrhunderte schlägt: Puffärmel stammen nämlich aus den 1870er-Jahren. Damals tauchten sie zuerst in der Mode auf, nun kehren sie mit einem Knall zurück. Sie wirken heute eleganter als auf den alten Fotos um 1900, doch das liegt auch an moderneren Textilien. Kombinieren lassen sie sich mit einem hoch taillierten Rock oder der Schlaghose, was echten Modeexperten ein amüsiertes Lächeln ins Gesicht zaubert.
Fazit: Retro-Mode rockt
Retro-Mode rockt nicht nur, sie hat möglicherweise ihre größte Zeit noch vor sich. Das hat einen produktionstechnischen und einen gesellschaftlichen Hintergrund: Dass die Moden wechseln, ist in der Menschheitsgeschichte eine eher junge Erfindung. Bekleidung war in früheren Jahrtausenden und Jahrhunderten nicht so schnell und billig herzustellen wie heute. Also trug man sie sehr lange und vererbte sie sogar. Noch im 17. Jahrhundert trugen Bräute das Hochzeitskleid ihrer Mutter oder Großmutter auf. Dementsprechend wechselte auch die Mode nicht so schnell. Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert änderten sich zunächst die Herstellungsverfahren, Kleidung wurde preiswert und war nur noch durch ihr Design etwas Besonderes.
Modeschöpfer
Also traten Modeschöpfer auf den Plan. Die Digitalisierung des 21. Jahrhunderts erlaubt wiederum immer kreativere Designs, es muss schließlich nicht mehr alles von Hand gezeichnet werden. Gleichzeitig wird es immer leichter, Stile zu vermischen und somit auch sehr leicht auf frühere Epochen zurückzugreifen. In manchen Science-Fiction-Filmen treten die Protagonisten – beispielsweise in einer Handlung des 23. Jahrhunderts angesiedelt – dementsprechend in einem modischen Stilmix aus mehreren Hundert Jahren auf. Mit der Musik geschieht Ähnliches (Beispiel: „Das fünfte Element“, 1997, Produzent Luc Besson, Hauptrollen Milla Jovovich und Bruce Willis). Den Filmschöpfern machte es offenkundig großen Spaß, einen modischen und künstlerischen Stilmix aus mehreren Jahrhunderten zu schaffen. Das könnte in der Realität wirklich passieren. Retro-Mode ist daher ein unglaublich spannender Hype.
Vintage, Retro und Second Hand: Das ist der Unterschied.
Aus der Modebranche gehen einige Begriffe gerade in der heutigen Zeit ziemlich viral. Da sollte man meinen, jeder wüsste was hinter Bezeichnungen wie Vintage, Retro oder Second Hand steht.
Klar, ein jeder modebewusstere Mensch hat die Begriffe schon einmal gehört. Aber die genaue Definition ist nur wenigen bekannt. Und wo liegt eigentlich die Grenze zwischen Vintage, Retro und Second Hand?