Entwicklung ist möglich, macht aber viel Arbeit

Unternehmensentwicklung ist nichts für Weicheier. Sie ist die Herausforderung unserer Zeit. Worauf können wir bauen, wenn plötzlich alles anders ist und wird? Wenn die vertrauten Fundamente und Routinen wegbrechen? „Meilensteine der Unternehmensentwicklung“, das neue Buch von Stefan Kerzel, gibt darauf Antworten. Aus der Praxis für die Praxis – ob beruflich oder privat – Es geht immer um eines: Alles.

Interview mit Stefan Kerzel: Die Herausforderungen und Chancen der Unternehmensentwicklung in ‚Meilensteine der Unternehmensentwicklung‘.

In Ihrem Buch erwähnen Sie, dass Agilität ein entscheidender Faktor in der Unternehmensentwicklung ist. Wie können Unternehmen Agilität in ihren Arbeitsalltag integrieren?

Meilensteine der Unternehmensentwicklung präsentiert 26 Stichworte, wie Ihre Unternehmensentwicklung besser gelingen kann. Von A wie Agilität bis Z wie Ziele. Sie basiert auf meiner jahrzehntelangen Erfahrung als Unternehmensentwickler. Ich habe das Buch zum Entwickeln von strategischen Gedanken aufgebaut. Deswegen steht der Text links. Auf den rechten Seiten finden Sie Platz für Ihre Ideen zum jeweiligen Stichwort.
Agilität beschreibt die Art und Weise, wie wir damit umgehen, dass sich alles ändert. Dieser Wandel passiert ständig – nichts bleibt, wie es ist. Agilität erzeugt Stabilität durch das Aushalten von Instabilität. Wer versucht, auf einem Surfbrett Stabilität zu erzeugen, den haut die Welle vom Brett. Wer erfolgreich surft und sich oben hält, schafft dies, weil er in der Lage ist, Instabilität auszuhalten.
Erkennen wir, dass ein dauerhaftes Jonglieren mit Unsicherheiten Standard war und ist. Dies wird so bleiben, daran ist nichts zu rütteln.

Sie sprechen von Berufung und Charisma als wesentliche Elemente. Wie können Unternehmer ihre Berufung finden und Charisma entwickeln?

Berufung kann eine Eingebung sein; oder sie ist der Zeitpunkt, an dem wir plötzlich einen klaren Blick über unseren kommenden Weg haben. In diesem Moment fällt der Groschen.
Die Frage nach dem Sinn und Wofür zielt auf Antworten, die es vielleicht noch gar nicht gibt. Je mehr Sie für diese brennen, desto dichter sind Sie eventuell dran.
Berufung ist der Treibstoff, der uns weitermachen lässt, wenn ein Versuch mal wieder gründlich in die Hose gegangen ist. Aus der Metamorphose und Grenzerfahrung des Scheiterns steigen wir auf wie Phönix aus der Asche. Das ist möglich, so entwickelt sich eine Strahlkraft, die Charisma genannt wird.

Changemanagement ist ein zentrales Thema in Ihrem Buch. Welche Schritte empfehlen Sie Unternehmen, um erfolgreiche Veränderungsprozesse zu initiieren und zu steuern?

Den Wandel zu handhaben, ihn willkommen zu heißen, das sagt sich so leicht. Bereits beim Gedanken daran, sträuben sich bei vielen von uns die Nackenhaare. Veränderung löst Ängste aus, das erzeugt Widerstand. Doch das einzig Beständige ist der Wandel. Wer einigermaßen derselbe bleiben will, muss sich ständig ändern. Veränderer, Erneuerer und Erfinder sind immer mit den drei großen ,,B‘s“ konfrontiert:

• Belächelt
• Bekämpft
• Bewundert

Sie werden erst belächelt, anschließend bekämpft und erst dann bewundert. Das gilt es beim Changemanagement zu akzeptieren.

Die Digitalisierung und Disruption sind große Herausforderungen. Welche strategischen Maßnahmen sollten Unternehmen ergreifen, um diesen Wandel zu meistern?

Digitalisierung und Disruption sind Paradebeispiele für das Verhalten von Menschen, wenn der Lauf der Welt sich ändert. Nur wenige greifen beherzt zu und nutzen die Gestaltungsmöglichkeiten, welche sich aus dem Wandel ergeben. Wir erinnern uns an Heraklit: „Alles fließt. Du kannst nie in denselben Fluss steigen.“
Der Erfolg von gestern kann träge machen: Nokia verschlief das iPhone-Zeitalter, Kodak die digitale Fotografie, Quelle glaubte die Welt des Versandhandels im Griff zu haben.
Wir Deutschen sind Weltmeister im Jammern. Anstatt die Chancen zu ergreifen, verharren wir in der Erstarrung. Unser Leben, unsere Arbeit werden bald von anderen neuen Gegebenheiten bestimmt werden – ob wir wollen oder nicht. Höchste Zeit, diesen Prozess mitzugestalten.

Eigenkapital spielt eine Schlüsselrolle in der Unternehmensentwicklung. Welche Tipps geben Sie für den effektiven Einsatz von Eigenkapital?

„Wohin die Reise geht, die Kohlen müssen stimmen.“ So pflegte es mein Großvater Franz zu sagen. Als Heizer und später Führer einer Dampflokomotive wusste er genau, wovon er sprach. Ohne Kohlen kein Dampf unter dem Kessel, ohne Dampf kein Vorwärtskommen. Wer weite Strecken zurücklegen will, sollte dafür genügend Kohlen an Bord haben.
Je mehr Eigenkapital ein Unternehmen besitzt, desto weniger Geld ist von außen nötig, desto weniger Kapital fließt in Form von Zinsen wieder ab.
Natürlich ist der Griff in die Firmenkasse verlockend und der Wunsch nach dem ersten Porsche riesengroß, wenn die Einnahmen sprudeln. Gerade in den ersten Jahren eines Unternehmens braucht es Disziplin und Demut. Niemand weiß, auf welche Stürme die Firma zusteuert. Ohne Moos nix los! Lernen Sie Quellen kennen, mit denen sich Ihr Eigenkapital vergrößern lässt.

Im Kapitel über Förderung beschreiben Sie verschiedene Fördermöglichkeiten. Wie können Unternehmen die besten Förderprogramme für ihre Bedürfnisse identifizieren und nutzen?

Förderprogramme schlagen Funken für neue Ideen, wie sich Unternehmen noch besser und zukunftsfitter aufstellen können als bislang. Dafür gibt es zwei Wege der Förderung, die Unternehmensentwicklung sowie günstige Zins- und Kreditkonditionen. Um das passende Programm zu finden, braucht es Spezialisten wie mich. Wer glaubt, dass die Wirtschaftsförderung diesen Namen trägt, weil sie die Wirtschaft fördert, erliegt einem Irrtum. Hier wird oft verwaltet und der bürokratische Wahnsinn weiter vergrößert.

Gesundheit und Humor werden als wichtige Faktoren für den Unternehmenserfolg genannt. Welche Maßnahmen können Unternehmen ergreifen, um diese Aspekte zu fördern?

Kennen Sie Ihre Leber- und Cholesterinwerte, Ihren Blutdruck? Ihren Wagen, ihre Maschinen bringen Sie regelmäßig zum TÜV. „Wir wollen gar nicht wissen, wie krank wir sind“, diesen Satz habe ich im Management oft gehört. Gesundheit, das ist – vor allem für Männer – jene Quelle scheinbar endloser Kraft und Unbesiegbarkeit, mit der wir leidenschaftlich dem Wahn erliegen, die Welt täglich aus den Angeln heben zu können. Welch ein Trugschluss! Mit Elan schöpfen wir aus dem Vollen. Leider geht der Krug nur so lange zum Brunnen, bis er bricht.
Planen wir unsere Zeit für Bewegung, Muße, Entspannung, Spaß und Freude wie einen Geschäftstermin in unseren Tag ein. Das heißt auch: In den Kalender eintragen und nicht absagen, wenn etwas vermeintlich „Wichtigeres“ zu erledigen ist. Stück für Stück entwickeln wir auf diese Weise ein Bewusstsein für den Stellenwert, der diesem unverzichtbaren Thema eingeräumt werden muss.
Humor ist jene einnehmende Eigenschaft, mit der wir Brücken zu anderen schlagen. Menschen, die positive Stimmung verbreiten, stehen in Gesellschaft zwangsläufig im Mittelpunkt. Ein Lächeln ist die einfachste und schönste Form, sein Gegenüber für sich zu gewinnen.
Das Schöne am Humor: Er entzieht sich unserem Verstand, erschüttert ihn, besitzt anarchistische Züge. Er durchbricht die Schichten der trüben Gewohnheit und lässt Triebe des Neuen entstehen – für Unternehmen eine überlebenswichtige Fähigkeit.

Jahreszielgespräche und Kommunikation sind wichtige Themen in Ihrem Buch. Wie können Unternehmen diese Instrumente effektiv nutzen, um ihre Ziele zu erreichen?

Zielgespräche zwischen Führungskräften und Mitarbeitern können zum Zündfunken oder Rohrkrepierer werden – es zählen Offenheit und Ehrlichkeit. Im Idealfall bereiten sich die Gesprächspartner lange auf diesen Termin vor.
Leider ist letzteres der Alltag in vielen Unternehmen. Das Zielgespräch verkommt zur lästigen Pflicht, die beide Seiten schnellstmöglich hinter sich bringen wollen. Also wird um den heißen Brei herumgeeiert, ohne dass es ans Eingemachte und an Verbesserungsmöglichkeiten geht.
Das ideale Zielgespräch findet auf gleicher Augenhöhe statt. Dieser Dialog ist eine Messsonde, um Stimmungen und Befindlichkeiten in der Belegschaft aufzufangen: Was läuft gut, was geht noch besser?

Sie betonen die Bedeutung von Mut in der Unternehmensentwicklung. Können Sie ein Beispiel nennen, in dem Mut den entscheidenden Unterschied gemacht hat?

Mut und Angst sind zwei Eigenschaften, die beim Menschen fast gleich groß ausgeprägt sind. Während die Ängstlichen gebannt vor der Gefahr erstarren, greifen die Mutigen das Schicksal beim Schopf und machen das Beste aus der Situation. Baue ich Dämme gegen die Fluten oder nutze ich deren Kraft, um Energie aus dem Wasser zu gewinnen?
Glücklicherweise sind Mut und Neugier immer etwas größer gewesen als die Angst. Voller Angst stürmen Menschen aus einem brennenden Haus – sie wollen ihr Leben retten. Voller Mut stürmen Feuerwehrleute in eben dieses flammende Inferno, um Kinder und alte Menschen in Sicherheit zu bringen – sie wollen auch Leben retten.

Netzwerke und Organisation sind zentral für unternehmerischen Erfolg. Welche Strategien empfehlen Sie, um starke Netzwerke aufzubauen und die Organisation zu optimieren?

Unser Leben findet in Netzwerken statt. Seit es Menschen gibt, leben wir in Gruppen. Wir sind Herdenwesen. Nur gemeinsam konnten wir den Unbilden des Schicksals trotzen. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Ob beim Essen, dem Treffen in der VIP-Lounge, beim Kaffeeklatsch oder in der Kneipe um die Ecke – das Prinzip der Gespräche ist gleichgeblieben.
Die Kernfrage des Netzwerkens lautet: Kennst Du einen, der einen kennt, der einen kennt? Ob Schuster, Arzt, Handwerker, Berater, Spezialist, Techniker, Ingenieur oder Politiker – gerne verlassen wir uns auf den Rat und die Tipps anderer.
Wissen Ihre Kunden, welche Produkte und Dienstleitungen Sie anbieten? Wie sehr haben Sie ausformuliert, welche Kontakte oder Weiterempfehlungen Sie suchen? Nur sprechenden Menschen kann geholfen werden. Vornehme Zurückhaltung ist auf dem Netzwerkparkett eine machtvolle Kontaktbremse. Leider sind nur wenige Menschen bereit, dafür etwas zu tun. 97 Prozent aller Menschen bezeichnen Empfehlungen über Netzwerke als optimalen Weg zum Erfolg. Systematisch und strategisch gehen hierbei aber nur 3 Prozent vor.
Unternehmerischer Erfolg lässt sich gestalten, planen, aufbauen, steuern. Alles fokussiert sich auf die Frage der Organisation. Sie steht für den Weg zum Erfolg. Organisation ist geronnene Strategie.

Welche Rolle spielen Potenziale und Disziplin bei der Entwicklung einer unternehmerischen Persönlichkeit?

Die Baupläne unserer Möglichkeiten fangen da an, wo der Zollstock des Gewöhnlichen und Bisherigen aufhört. Verstand und Herz als die beiden Pole unserer Schöpferkraft lassen sich systematisch als Motor für wirtschaftlichen oder persönlichen Erfolg nutzen. Der Schlüssel zu diesen Potenzialen ist die Disziplin.
Alles, was wir unternehmerischen Erfolg und Entwicklung benötigen, besitzen wir bereits. Zu dieser Welt unserer Exzellenz können wir Brücken bauen – mit Disziplin.
Wir sind alle und ständig Schüler in der Schule des Lebens und unseres unternehmerischen Schaffens. Diese Schule endet nicht mit einem Abschlusszeugnis oder Zertifikat. Sie endet dann, wenn wir aufhören, uns für Neues zu begeistern.

Im Buch behandeln Sie das Thema Scrum. Wie kann die Implementierung von Scrum die Effizienz und Produktivität eines Unternehmens steigern?

Wenn Sie das Wort Scrum von hinten lesen, zeigt es seine wahre Identität – Murcs. Ich halte von Scrum genauso viel wie Ken Schwaber, der Scrum Anfang der 90er Jahre mitentwickelte. Er brachte es sarkastisch auf den Punkt. Nach der Methode von Scrum könne auch ein „Team von Idioten“ arbeiten.

Sie sprechen von der VUKA-Welt und den Herausforderungen, die sie mit sich bringt. Welche Fähigkeiten müssen Unternehmen entwickeln, um in einer VUKA-Welt erfolgreich zu sein?

VUKA ist ein Modell unserer Zeit und steht für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambivalenz. VUKA zwingt uns zu dauernder Bereitschaft, damit klarzukommen, dass sich die Dinge ändern. Lebenslanges Lernen ist ein anderer Begriff dafür. Ob auf analogen oder digitalen Wegen; wir müssen unser Hirnschmalz dauernd erhitzen und Wissen mehr und mehr zur Umsetzung und zum Können bringen. Dann ist VUKA keine Bedrohung, sondern exakt das, wofür uns die Evolution mit allen Sinnen und Fähigkeiten ausgestattet hat.

Die fünf Kernfragen Ihres Buches sind entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg. Können Sie erläutern, wie Unternehmer diese Fragen praktisch anwenden können?

Sie brauchen Mut und die Bereitschaft, sich auf diese Fragen einzulassen.

• Wofür sind wir?
• Wohin unterwegs?
• Mit wem oder womit?
• Bis wann?
• Wer oder was hält uns – noch – davon ab, das zu tun, was wir längst können und wissen?

Mit den Antworten beginnt eine spannende Reise, vor deren Antritt viele zurückschrecken. Wir brauchen nicht mehr als diese fünf Fragen. In der Coaching– und Psychobranche ist jedes Thema bis zur Gänze ausgewrungen worden. Wer bereit ist, diese fünf Fragen zu beantworten, findet seinen Weg. Mehr braucht’s nicht.

Zum Abschluss: Welche drei zentralen Botschaften möchten Sie den Lesern Ihres Buches mit auf den Weg geben, um ihre Unternehmensentwicklung erfolgreich zu entwickeln?

Seien Sie bereit und mutig, ins unentdeckte Land der Zukunft aufzubrechen.
Finden Sie einen vertrauensvollen Entwickler für diesen Weg.
Lernen Sie, Gegenwind und Neid auszuhalten.

Kennen Sie INQA (Initiative Neue Qualität der Arbeit)? Und wäre INQA ein geeignetes Mittel in der Unternehmensentwicklung?

Alles, was Unternehmensentwicklung stärkt und fördert, sollte genutzt werden.

Das Interview führte Igor Adolph von e-Trado.

Fotocredit by Stefan Kerzel.